Endlich 50!Endlich 50 … !

Schon der Begriff „endlich“ stört mich! Ich begreife ja wie es gemeint ist, aber es steckt verdammt nochmal die klitzekleine Silbe „Ende“ darin! 50 ist ok – aber dann reicht es doch auch! Aber versucht das mal umzusetzen … danach kommt nämlich unweigerlich die 60! Und dann? Es geht alles so rasend schnell. Erst Tennis, dann Golf, jetzt Doppelkopf .. und danach Pflegestufe 1,2,3.

Mein Papa  (Gott hab ihn selig!) hat immer gesagt: „Ich glaube, ich lebe im falschen Körper!“. So langsam verstehe ich ihn jetzt. Mein Inneres altert irgendwie nicht mit. Ich sehe mich immer noch wie vor 30 Jahren. Nur macht mein Körper mir hin und wieder einen Strich durch diese Sichtweise. Nicht nur, dass ich einen steifen Nacken vom Zurückblicken bekomme – ich frage mich manchmal, wie lange mein Körper und ich wohl noch haben? Sitze ich zB. längere Zeit in einer – sagen wir Mal – nicht ganz so komfortablen Postition auf einem Stuhl, habe ich das Gefühl, ich müßte „Knotenmutter“ herbeirufen, damit ich wieder einen Fuss vor den anderen setzen kann. Die Hände in die Hüften, der Versuch, das Kreuz durchzudrücken, um dann festzustellen, dass „Knotenmutter“ doch nur die halbe Arbeit geleistet hat! In Anbetracht der Tatsache, dass ich mit 30 noch meine Füße hinter den Kopf biegen konnte, eine Arbeitshälfte, auf die ich nur ungern verzichten möchte. Warum es für mich wichtig ist, die Füße hinter die Ohren zu biegen? Keine Ahnung. Ist einfach so. Ich möchte wahrscheinlich nur wissen, dass es noch gehen würde, wenn ich es wollte! Nein, ich muss mir nix beweisen  – ich will nur sicher gehen, dass ich es noch KÖNNTE! Ich könnte ja schließlich auch mit schwerem Geschütz einen Dübel in meine maroden Wohnzimmerwände bohren – will ich aber gar nicht. Lieber bemühe ich meinen lieben „Vizepapa“, der bei solchen Anliegen immer einspringt. Leider ist dieser Mann nicht mehr biegsam genug … Mist!

Wie war ich denn  so vor … sagen wir Mal … 30 Jahren? Mit 20 sicher unbekümmerter als heute. Keine Gedanken an Altersvorsorge und Pflegestufen. Mein Körper hielt meinem Inneren stand. Ich wollte die ganze Nacht durchtanzen? Kein Problem! Frisur in Ordnung gebracht, Make up aufgefrischt, Kleid angezogen, Pumps an die Füße … und los ging es.

Heute will solch ein Vorhaben dagegen verdammt gut vorbereitet werden. Es dauert Stunden, bis ich glaube, ein respektables Äußeres geschaffen zu haben. Fusselige Haare sperren sich nach mehrmaligen Versuchen, irgendeiner Frisur zu entsprechen. Dazu kommt noch erschwerend, dass mir nach einer gewissen Zeit des Kämmens und Toupierens, die Arme ihren Dienst verweigern und nicht mehr in Kopfhöhe gehalten werden wollen. Ok – dann bleibt es eben beim altbekannten Zopf. WechseljahreEine Frisurvariante, die mich schon ewig begleitet. Zunächst aus Bequemlichkeit, mittlerweile aus der Not heraus, weil keine verführerische Locke ausdauernd meine Antlitz umschmeicheln möchte. Müßte eigentlich „der Locke“ heissen, so schnell wie sie hängt (hier ist ein bisschen Phantasie gefragt!). Ein Blick in den 10x vergrößernden Spiegel verbergen keine Falten in meinem Gesicht. Also muss all die Pampe herhalten, die meine Tochter mir empfohlen hat. Damit alles hält, Haarspray auf die Haare aber auch einen Hauch davon ins Gesicht (weiterer Tipp vom Töchterchen. Ich habe allerdings ein kleines bisschen mehr gesprüht – sicher ist sicher!)  – damit alle Cremes, Pudergedöns und Eyeliner da bleiben wo ich sie aufgebracht habe HaarsprayHab zwar Schwierigkeiten, danach meine Augen zu öffnen, aber für einen kurzen, überprüfenden  Blick reicht es. Naja, geht so.

Ohne Brille geht übrigens auch nichts mehr. Aber die lasse ich heute natürlich weg. Kontaktlinsen sei Dank. Meine Augen gewöhnen sich so langsam daran, dass ihnen ein Fremdkörper auf die Linse gesetzt wurde. Jetzt dürfen sie nur nicht anfangen zu tränen – dann wäre die ganze Mühe um meine Augen herum umsonst gewesen. Eyeliner – wie früher auf faltenfreie Augenlider aufzutragen – war nämlich erheblich einfacher. Heute muss ich sie straff ziehen damit der Strich einigermaßen gerade mein Auge schmückt. Tue ich das nicht, verweigert sich der Eyeliner. Er schiebt meine Haut kreuz und quer von rechts nach links und ich sehe im Ergebnis aus, als wenn ein Kartograf versucht hätte, die Oberfläche der Alpen auf meinen Augenlidern zu zeichnen. Müsste ich das jetzt wiederholen, würden sich außerdem besagte Linsen verabschieden und in die Tiefen des Waschbeckens verschwinden. Und ich muss gestehen, dass ich mich nicht besonders geschickt beim Einsetzen dieser dünnen Plättchen erweise. Liegt wahrscheinlich auch daran, dass man ja in diesen Augenblicken diese verdammte Brille nicht auf der Nase hat. Eine Krux ist das aber auch!

Gott sei Dank, kenne ich den Weg vom Bad ins Schlafzimmer blind; denn genauso stapfe ich durch meine Wohnung. Das Haarspray klebt auf meinem Gesicht wie Hulle. Hoffentlich habe ich während des Einsprühens keine unvorteilhafte Grimasse geschnitten – die wäre wohl auf immer in meinem Gesicht festgeklebt. Beim nächsten Mal versuche ich während des Sprühens ein möglichst entspanntes Gesicht zu machen! Scheint mir eine wirklich kostengünstige Methode der Faltenbehandlung zu sein!

Im Schlafzimmer angekommen, stelle ich schnell fest, dass ich mal wieder gar nix zum Anziehen habe. Also zumindest nichts für meine aktuelle Konfektionsgröße. Mit anderen Worten: ich bin zu spät dran für meinen Kleiderschrank. images-2Wäre mir im August 2015 eingefallen, tanzen zu gehen, wäre meine Auswahl an passenden Klamotten größer gewesen. Noch besser im August 2014. Wie mein Papa schon sagte und ich jetzt bestätigen kann: ich lebe im falschen Körper! Erschwerend kommt bei mir noch das falsche Jahr dazu! Furchtbar!

Also muss eine Klamotte herhalten, in der ich mich beschwerdefrei bewegen kann UND noch einigermaßen passabel aussehe. Heisst also Hose und ein weites Oberteil. Letzteres verbirgt die Bauchrolle, die sich über diese, in der Taille im Moment ja blöd tief geschnittenen Hosen, ihren Weg ins Freie sucht. Diese Quetschhosen, die einem versprechen, wieder bauchfrei in jedes Kleidungsstück zu passen, habe ich mittlerweile aus meinem Schrank verbannt. Meine Fettpölsterchen sind so freiheitsliebend, dass sie sich eben an anderer Stelle blicken lassen wenn ich sie aus ihrer eigentlichen Heimat weg quetsche. Und dann sieht es ganz übel aus! Der Bauch flach – aber dafür Oberschenkel, die den abgeschobenen Pölsterchen Asyl bieten (wußte gar nicht, wie politisch engagiert Teile meines Körpers sind!) und kurz über dem Quetschhosenbund eine Wulst, die unbeschreiblich fehlplatziert wirkt … und es ja auch ist – so kurz unter der Brust (hier verweigert der Rest meines Körpers offensichtlich die Integration!). Also greife ich ausschließlich zu  weiten Oberteilen (… und die Politik kann mich mal!). Vielleicht bin ich da auch zu empfindlich. Laufen ja schließlich viele Frauen durch die Gegend, die sich darum überhaupt keinen Kopf machen. Egal, wie eng das T-Shirt um den Bauch herum sitzt. Wenn ich mich das mal traue, dann nur unter der erheblich körperlichen Anstrengung, den Bauch einzuziehen und damit auch meine Atmung auf ein Minimum herunterzufahren. Wenn man tanzen will, erscheint mir das aber eher kontraproduktiv.

Es überrascht mich immer wieder aufs Neue, wie doof mein Spiegel sein kann! In meinem Kopf bin ich eine wohlgeformte junge Frau mit einer ganz passablen Figur. Und dieses Bild hat sich wohl in meinem Gehirn tief eingebrannt. imagesGuck ich nun in den Spiegel zeigt sich eine mittelalte Frau mit Rundungen an allen möglichen Stellen. Pfff. Ich sag ja, der Spiegel ist doof! Ich bin durchaus versucht, ihm seine Objektivität abzusprechen: „Hängt bestimmt schief“, „billiges Material“ bis hin zu „der Spiegel ist blind“. Ausreden, die ich brauche, um mit dem Bild, was sich mir da bietet, umzugehen. Und tatsächlich schaffe ich es, mich zu beruhigen. Dieses eingebrannte Bild gefällt mir einfach besser. In meinem Kopf schliessen Illusion und Realität irgendeine Form der Koalition oder sowas ähnliches (da ist sie wieder – die Politik!). Zumindest zieht es mich nicht wirklich runter – was man ja durchaus annehmen könnte.

Allerdings ist diese Koalition ein sehr zartes Konstrukt; denn ich bin mir durchaus bewusst, dass nicht alle Spiegel meinen Ausreden standhalten. Und die, die in den Umkleidekabinen hängen – die ich beschimpfe ich ja wohl zurecht aufs Äußerste! Unfassbar, was die sich trauen! Aber gerade diese fiesen Dinger haben es schon geschafft, mich mit hängendem Kopf aus der Kabine heraus kommen zu lassen. Da bekommt mein eingebranntes Bild tatsächlich Löcher. Dafür mein Konto aber nicht … und so wiege ich eines nach anderem miteinander auf … und gehe erhobenen Hauptes aus diesem Laden raus! Mädels: unser Glas sollte immer halb voll sein!!

Die Auswahl der Schuhe fällt mir um einiges leichter. Da ich mich zum Salsa tanzen verabredet habe, müssen die obligatorischen Tanzschuhe mit. Ob das wirklich ein „Muss“ ist, bezweifle ich allerdings. Schließich wird auf Kuba auch mit FlipFlops  eine flotte Sohle auf das Parkett (oder auch auf den Strassenasphalt) gelegt. Pumps für den Hinweg sind ok, aber dringend müssen ein paar flache Schuhe mit in die Tasche. Seit meinem Skiunfall vor 1 ½ Jahren hält mein Knie keine Schräglage mehr über mehrere Stunden aus. Das bedeutet aber auch, dass ich mit einer großen Tasche aus gehen muss. Ich entscheide mich für den Rucksack,Rucksack in dem ich meine Ersatzschuhe, Schminke, Bürste, Haarspray, Brille, Handy, Portemonnaie  und das Fragezeichen aufbewahren kann. Sehe also eher aus, als ob ich in schicker Montur an einer Wanderung teilnehmen wollen würde als nach kubanischen Rhythmen tanzen zu gehen. Was soll`s.

In einem der angesagten Salsa -Tanzschuppen muss ich satte 4 Etagen nach oben laufen. Es dauert keine 20 Treppenstufen und ich fange an zu schwitzen. Aber wie! In Rinnsalen läuft mir die Suppe zwischen Rücken und Rucksack herunter. Das kann ja heiter werden! Oben angekommen schlägt mir heisse Luft aus dem überschaubaren Raum entgegen. Glaube ich wenigstens – die meisten der hier Anwesenden sehen eigentlich noch ganz passabel (trocken) aus. Also entweder meldet sich mein persönlicher Sommer mal wieder in einem völlig unpassenden Moment zurück (Hand in Hand mit den Auswirkungen der bereits geleisteten körperlichen Anstrengung) oder meine Temperaturfühler haben sich auf irgendeiner der unfassbaren vielen Treppen verabschiedet und schlafen gelegt. Ganz gleich – unbedingt muss ich daran denken, bei einem meiner nächsten Besuche Wechselklamotten mitzunehmen. Vielleicht  liegt hier ja sogar auch der tiefere Sinn im Begriff „Wechseljahre“? Ein gut gemeinter Hinweis im Sinne von “ Gehe ab 50 nie ohne Wechselsachen aus dem Haus! „? Kurz sehe ich mich schon mit einem Koffer in der Hand mit dem  Türsteher diskutieren… der Rucksack wurde ja schon misstrauisch beäugelt. Woher soll der braungebrannte und muskulöse (aber auch leicht debil wirkende) Typ auch von meinen Nöten ahnen?  Ich verwerfe den Gedanken daran aber wieder – kommt Zeit, kommt Rat …

Plötzlich steht wie aus dem Nichts jemand vor mir, der mich zum Tanzen auffordert. Das hat mir gerade noch gefehlt: mit
Salsaseinen schwitzigen Händen modelliert dieser Tänzer meine durchgeschwitzte Bluse wunderschön an meinem Rücken fest. Er schleudert mich dabei in alle Richtungen, verdreht meine Arme, grinst mich ob seiner Künste begeistert an und lässt mich wieder an die Knotenmutter denken (und an verschiedene Folterungsarten, die ich ihm ganz bestimmt angedeihen lasse, wenn ich ihn nachher alleine erwische!). Nach dem Tanz zupfe ich mir verstohlen die festgeklebte Bluse von meinem Rücken. Bestimmt hängen Hautfetzen daran. Das Haarspray wird wohl auch Teile meiner Hinterseite erwischt haben, nur so kann ich mir nämlich das leichte Brennen auf meiner Haut erklären.

Nachdem ich 3 Gläser Wasser auf ex vernichtet habe und den offensichtlich lebensmüden Typen nicht mehr ausfindig machen kann, nehme ich meinen Rucksack in die Hand und wage den Gang zur Toilette – und damit zum unvermeidlichen Blick in den Spiegel. Nach nur einem Tanz sehe ich aus … wie eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme aus den 30iger Jahren. Marlene Dietrich für Arme. Marlene DietrichSuper! Die  Wimperntusche klebt in meinen kleinen Falten oberhalb der Lider fest und überhaupt sehen meine Augen aus, als wenn ich sie mit Kohle geschwärzt hätte. Außerdem hat sich das Make up wohl irgendwann verflüssigt, um dann später wieder an Ort und Stelle punktuell festzukleben. Von Haarspray als Befestiger für das Make up rate ich also hiermit dringlich ab! Mein Versuch, mit Spucke das ganze Elend wieder an Ort und Stelle zu rücken, scheitert. Ist ja klar – Pattex schert sich schließlich auch nicht um Wasser. Fühlt sich aber bestimmt im Gesicht ähnlich an.

Von meiner „Frisur“ will ich erst gar nicht reden. Fusseliges Haar verhält sich bei mir ähnlich wie die Fettpölsterchen. Auch meine Haare mögen es nicht, ihrer Freiheit beraubt zu sein und suchen sich sofort bei nächster Gelegenheit den Weg nach Draußen – in diesem Fall aus dem Haargummi. Allerdings im Moment erschwert durch den Schweiß, der mir immer noch direkt von der Kopfhaut herab, über den Nacken (somit durch den Zopf), den Rücken entlang läuft. Wäre hier in der Nähe ein Swimmingpool – jeder würde mir glauben, dass ich vor kurzem noch kopfüber reingesprungen bin – genau so sehe ich nämlich aus! Im übrigen würde ich das jetzt sogar glatt in die Tat umsetzen wollen.

Wieder zurück, verdrücke ich mich in die hinterste Ecke des Raumes. Aber was passiert? Der nächste Kandidat wagt sich an mich heran. Man könne ja schließlich nicht alleine an einem so wunderbaren Abend, mit solch guter Musik … und überhaupt, ich wäre ja eine tolle Frau, wie ich denn heißen würde … bla bla bla. Scheint sehr schlecht sehen zu können, der Arme. Und noch schlechter tanzt er. Schlimm auch, dass es ein langsames Lied ist; denn das bedeutet engen Körperkontakt zu einem mir unbekannten männlichen Wesen, dem das Thema „Schwitzen“ auch nicht gerade fremd, aber offensichtlich ziemlich egal ist.

Was soll ich sagen? Die nächsten Stunden verbringe ich auf der, zu dem Tanzschuppen gehörenden Terrasse, über den Dächern von Essen. Weit weg von der Hitze und fremden Körperschweiß. Ganz nah an einer lauen Brise, die mir die Haare trocknet und meine eingesprühte Gesichtsmimik nun vollends erstarren lässt. Meine Gedanken sind bei meinem Vater, der sich ganz bestimmt nicht mit meinen Problemen herumschlagen musste. Er konnte auch  gar nicht Salsa tanzen – vielleicht aus deswegen.

Heute liege ich mit einer fetten Erkältung im Bett und bemerke, dass ich eigentlich über etwas ganz anderes – tiefsinnigeres – schreiben wollte. C´ est la vie!

Oder wie der Kubaner es sagen würde: „Asi es la vida!“

In diesem Sinne!

Cornelia Marsch